Der Siegeszug des jungen Begriffs der “Identität” scheint unaufhaltsam. Trotz mahnender Publikation, trotz kritischer Plädoyers von Wissenschaftshistorikern trifft er in einer bestimmten Weise den Nerv der Zeit und wird in den Kulturwissenschaften immer stärker aufgegriffen. Fest steht: “Das magische Universum der Identität” (Müller, 1987) scheint einen unwiderstehlichen Sog auf das moderne Individuum auszuüben. Was wissen wir über Vorstellungen von “Identität” als Eigenschaft (oder Attribut) sozialer Akteure in anderen Gesellschaften? Handelt es sich hier um einen universalen, analytisch einsetzbaren Begriff, und wie übersetzt er sich über kulturelle Grenzen hinweg? Von Stuart Hall bis Maurice Bloch haben Wissenschaftler immer wieder die Unschärfe des Begriffes hervorgehoben. Grenzen wir ihn ein auf die Frage “sozialer Identität”, und stellen wir fest, dass er sich inhaltlich unterscheidet von raumbezogenen Zugriffen auf sozialen Gruppen. Damit ist viel gewonnen, aber wir sind immer noch weit davon entfernt, Identität in den Kontext älterer Begriffe wie “ethnischer Gruppe” oder “Gemeinschaft” einbetten zu können. In diesem Seminar sollen einerseits solche ethnologischen Beiträge im Vordergrund stehen, die “Identität als Universalie” der Strukturierung und Abgrenzung von Gesellschaften betrachten (Müller, Sahlins). Dabei steht der Charakter des Konzepts einer multiplen Zuordnung des Einzelnen im Vordergrund. Identität ist hier ein Modell für die flexible Organisation von Differenz und Gemeinsamkeit. Andererseits gibt es eine Reihe von anwendungsorientierten Texten, die Identität als “angeheftete Bedeutung” an Dinge beschreiben. Der Fokus auf Identität und materielle Kultur zeigt, wie Identität nutzbar ist für die Beschreibung von Gruppen und sozialen Grenzen. Ein klassisches Beispiel ist die “limitische Struktur” von Wilhelm E. Mühlmann (1985). Ein Beitrag über Keramik und Identität passt in diese Reihe (Hahn, 2009). Aber auch in der Migrationsforschung kann Identität an materieller Kultur festgemacht werden (Hettlage, 1997). Das Forschungsseminar wird im ersten Teil aus Impulsreferaten aller Beteiligten bestehen. Im zweiten Teil wird Gelegenheit geboten für eine gezieltere, auch projektbezogene Diskussion von Problempunkten und Fragen, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Vorfeld des Seminars eingereicht werden können. Um Anmeldung sowie Mitteilung eigener Interessen (Fragen und Themen) wird gebeten. Die vorgestellten Texte werden nach der Anmeldung per E-Mail versandt.
Kontakt: Hans Peter Hahn
Referenzen
Hans P. Hahn, “Keramische Produktion, interethnische Beziehungen und soziale Identitäten in der westafrikanischen Savanne”, in: P.W. Stockhammer (Hg.),Keramik jenseits von Chronologie, Rahden: VML, 2009, 135-155
Robert Hettlage, “Identitätsmanagement. Soziale Konstruktionsvorgänge zwischen Rahmung und Brechung”, in: WeltTrends, (15) (1997), 7-23
Wilhelm E. Mühlmann, “Ethnogonie und Ethnogenese. Theoretisch-ethnologische und ideologiekritische Studie”, in: Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Studien zur Ethnogenese, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1985, 9-27
Klaus E. Müller, “Das magische Universum der Identität. Elementarformen sozialen Verhaltens. Ein ethnologischer Grundriß”, Frankfurt a.M.: Campus, 1987
Marshall D. Sahlins, “Reports on the Death of Culture have been Exaggerated”, in: H. Marchitello (Hg.) “What Happens to History. The Renewal of Ethics in Contemporary Thought”, London: Routledge, 2001, 189-213