Dass sich die Tätigkeit der Altertumswissenschaften nicht in Ausgraben, Sammeln, Katalogisieren, Kartieren erschöpft, sondern auch aus Beschreiben und Erzählen besteht (writing archaeology, museale Repräsentation), kommt immer stärker in den Blick. Die Frage, mit welcher wissenschaftlichen Darstellungsweise man ihre fragmentierten Befunde und ihre lückenhafte Wirklichkeitserkenntnis vermittelt ohne gleich zu synthetisieren, betrifft aber nicht nur die Altertumswissenschaften. In der Ethnographie (writing culture Debatte) hat sie schon früh zur Einsicht in die “Krise der Repräsentation” und in die Bedeutung der “Repräsentationsautorität” geführt. Dass Beschreiben und Erzählen nicht nur zwei unterschiedliche Praktiken, theoretische Einstellungen und Darstellungsmethoden sind, sondern auch “grundlegend verschiedene Stellungen zur Wirklichkeit” (Georg Lukács) bezeichnen – dies gibt der Fragestellung des Seminars einen besonders weiten Horizont.
Im Seminar soll die neuere Diskussion in der Archäologie um Formen wissenschaftlicher Repräsentation ausdrücklich in Bezug gesetzt werden zu den Reflexionen des Repräsentationsproblems in Ethnographie, Geschichts- und Literaturwissenschaft. Die unterschiedlichen Perspektiven in diesem Spannungsverhältnis ermöglichen interessante interdisziplinäre Impulse für die Altertumswissenschaften. Diese kehren sich gegenwärtig immer mehr ab von ihrer konventionellen Repräsentationsform: der objektivierenden Beschreibung (Deskription von Grabungsbefunden, Fokussierung aufs Materielle, “katalogisierender Diskurs” bis hin zum “Beschreibungsfetischismus” – R. Bernbeck). Stattdessen ist eine Hinwendung zu Storytelling, Narrativität, Fiktionalität und ganz neuen experimentellen Formen der archäologischen Repräsentation zu beobachten, die ausdrücklich Meistererzählungen vermeiden.
Andere Disziplinen der Humanities dagegen scheinen in letzter Zeit eher die Kategorie der Beschreibung als eine wichtige Kulturtechnik neu zu bewerten – von “dichter Beschreibung” bis hin zu bewusst “lückenhaften” Beschreibungen anstelle von Bedeutung und Kohärenz erzeugenden Erzählungen.
Lassen sich hier also gegenläufige Tendenzen feststellen oder doch nur unterschiedliche Gewichtungen? Wo finden sich Berührungspunkte oder wechselseitige Anregungen? Zur Sprache gebracht werden Fragen der ethischen Implikationen dieser unterschiedlichen Repräsentationsformen, der Abgrenzung von Fakten und Fiktionen, bis hin zum Anregungspotential literarischer Texte für die wissenschaftliche Darstellung. Wird die Beschreibung etwa zu einer kritischen Herausforderung der Erzählung, gerade weil sie eine explizite Methode der Vermeidung von Sinnzuschreibungen ist? Wie verhalten sich die jeweiligen Darstellungsformen zur Vermittlung von Brechungen, Unsagbarkeiten und Fremderfahrungen, zur Markierung von Räumlichkeit vs. zeitlicher Entwicklung, zur Hierarchisierung von Sinnordnungen usw.?
Das Seminar besteht in seinem 1. Teil aus einer Einführungsvorlesung, im 2. Teil aus einer Lektürediskussion und der Erörterung evtl. vorher eingereichter Fragen – nicht zuletzt mit Blick auf Anwendungsbezüge zu den eigenen Forschungsprojekten.
Diskussionsgrundlage

Reinhard Bernbeck, “La Jalousie” und “Archäologie: Plädoyer für subjektloses Erzählen”, in: EAZ – Ethnographisch-archäologische Zeitschrift 51. 1/2 (2010), 64-86
Klaus R. Scherpe, “Beschreiben, nicht Erzählen! Beispiele zu einer ästhetischen Opposition: von Döblin und Musil bis zu Darstellungen des Holocaust”, Antrittsvorlesung HU Berlin 20. Juni 1994