‚Ekphrasis’ ist ein Zentralbegriff der Literatur- und Medienwissenschaft geworden. Die Begriffs- bedeutung der antiken Rhetoriktheorie – ‚Ekphrasis’ als effektvolle Veranschaulichung – wurde zunehmend von der modernen Neubestimmung verdrängt, die eine komplexe Interaktion von Text- und Bildmedium – genauer: die textuelle Referenz auf ein anschauliches (Kunst-)Objekt – bezeichnet. Prominent ist die Definition als ‚verbal representation of visual representation’.1

Nun ist ‚representation’ ein überaus vager Begriff, unter den sich ganz unterschiedliche mediale Phänomene einordnen lassen. So erfüllen die homerische Schildbeschreibung der Ilias einerseits und die Wendung „Michelangelos David“ andererseits diese ‚Ekphrasis’-Definition gleichermaßen, da sie textuell auf ein bildförmiges Kunstwerk verweisen oder es vor dem inneren Auge hervorrufen.

In der Literaturtheorie wurde diese konzeptionelle Unschärfe geheilt, indem man ‚Ekphrasis’ explizit als einen intermedialen Transfer eines (visuellen) ‚source-objects’ in einen (verbalen) ‚target-context’ bestimmte.2 Trägt man das abstrakte Modell jedoch zurück in die Altertumswis- senschaft, ist gerade für die berühmtesten ‚Ekphraseis’ z.B. bei Homer und Vergil kein konkretes Vor-Bild, sondern nur das nachrangige Ab-Bild greifbar, und der ab-bildende Textgestus ist oft plausibler als genuin poetische Strategie denn als tatsächliche Referenz auf ein reales Objekt zu verstehen.

Unter den Formen transmedialer Rekontextualisierung sind ‚Ekphraseis’ also besonders interes- sante Beispiele, die vor allem konzeptionelle Fragen aufwerfen. Mein Beitrag zielt darauf ab, kurz das rhetorische und ‚transferentielle’ Verständnis von ‚Ekphrasis’ zu skizzieren und anhand der homerischen Schildbeschreibung zu illustrieren. Gegenüber dem Transfer-Modell will ich einen Alternativvorschlag unterbreiten. Er vermeidet zunächst Außenbeziehungen zur Wirk- lichkeit und hebt stattdessen das strukturelle Formverfahren poetischer Ekphrasis hervor, näm- lich dass in einen (ersten) medialen Mikrokosmos ein (zweiter) stabiler medialer Mikrokosmos eingelegt ist (‚metamedial-metadiegetische Beschreibung’). So gesehen, tritt ‚Ekphrasis’ nicht nur ‚transmedial’ in Bild-Text-Beziehungen auf, sondern ist als intermediales Formverfahren z.B. auch in der Bildkunst greifbar. Diesen neuen Gedanken möchte ich vorstellen und anhand der ‚Ekphrasis’ auf dem Brustpanzer des Prima-Porta-Augustus mit Archäologen und Literaturwis- senschaftlern diskutieren.


1 Heffernan, James A.W.: Ekphrasis and Representation, in: New Literary History 22 (1991), 297-316.
2 Eine reiche Übersicht bieten Schäfer, Christina u. Rentsch, Stefanie: Ekphrasis. Anmerkungen zur Be- griffsbestimmung in der neueren Forschung, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 114 (2004), 132-165; zentral: Yacobi, Tamar: Pictorial Models and Narrative Ekphrasis, in: Poetics Today 16 (1995), 599-649; Clüver, Claus: Quotation, Enargeia, and the Functions of Ekphrasis, in: V. Robillard, A. Jongeneel (Hgg.): Pictures into Words. Theoretical and Descriptive Approaches to Ekphrasis, Amsterdam 1998, 35-52.