Migrationsbewegungen standen lange Zeit außerhalb des Fokus ethnologischer Forschung. Das ethnologische Interesse richtete sich in den Anfängen eher auf die Aufzeichnung von Merkmalen ethnischer Gruppen, die als weitgehend abgeschlossene Einheiten betrachtet wurden. Mobilität, Bewegung und Wandel entsprachen auch nicht den in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Ethnologie vorherrschenden theoretischen Ansätzen, die gesellschaftliche Systeme in Bezug auf Gleichgewicht und Stabilität erforschten.
Die Chicago School of Sociology war eines der ersten Institute, das sich explizit mit Einwanderern beschäftigte. Vor dem Hintergrund der transatlantischen Massenmigration wurden Communities von Einwanderergruppen in der rapide wachsenden Metropole Chicago ethnographisch erforscht. Ein weiterer wichtiger Ansatz in der ethnologischen Migrationsforschung war die Manchester Schule am Rhodes Livingstone Institute im heutigen Sambia. Das Forschungsinteresse galt dem Zusammenhang von Migration, Ethnizität und Urbanisierung. Zwei wichtige ethnologische Methoden gingen daraus hervor, die Situations- und die Netzwerkanalyse. Letztere spielt heute eine herausragende Rolle bei der Erforschung der sozialen Organisation räumlich verstreut lebender Gruppen.
Weltweite Mobilität und Wanderungsbewegungen im Kontext der Globalisierung veränderten die Diskurse um Migration. Das Modell eines unilinearen Migrationsverlaufs, durch Pull- und Push-Faktoren bedingt, wurde obsolet. Für die ethnologische Migrationsforschung erhielten die Konzepte von Diaspora und Transnationalismus zunehmend Relevanz. Ethnologische Studien beschäftigen sich beispielsweise mit transnationalen sozialen Räumen und Netzwerken, in denen Migranten jenseits nationalstaatlich definierter Grenzen agieren. Die Konstruktion von Identität wird als ein dynamischer Prozess angesehen, der multiple und variable Zugehörigkeiten impliziert. Ethnizität und Kultur werden heute im Kontext von diversity neu diskutiert. Methodisch erfordert die Erweiterung des räumlichen Blickfelds sowie die breite Kontextualisierung des Untersuchungsgegenstandes im Rahmen einer Feldforschung einen neuen Zugang, für den Marcus (1995) den Begriff der multi-sited ethnography prägte. Lokalität bleibt auch in dieser neuen Verortung ein zentrales Kennzeichen ethnologischer Migrationsstudien.