Die Jahrhunderte zwischen Diokletian und Karl dem Großen wurden seit der frühen Neuzeit in ganz Europa als Formationsplattform der eigenen nationalen, politischen und religiösen Identität definiert wie stilisiert. Erklärt wurden die komplexen Transformationsprozesse von der Antike zum Mittelalter häufig mit Wanderungen vollständig ausgebildeter Völker. Ein differenzierteres Verständnis der Kategorien bleibt ein dringendes Desiderat der zeitgenössischen Forschung.
Seit nunmehr fünf Jahrhunderten streiten sich Intellektuelle der alten und der neuen Welt in ungebrochener Intensität über Goten, Vandalen und andere Völker. Dies auch deshalb, weil Deutsche, Spanier, Schweden, Franzosen, Polen und andere in diesen ihre eigenen Vorfahren sahen. Schließlich wollte jede entstehende europäische Nation eine möglichst alte Geschichte und die spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen waren – neben der biblischen Geschichte – allen gemeinsam. Deutschland und Frankreich beriefen sich auf fränkische bzw. merowingisch-karolingische Wurzeln, in Spanien und Schweden wollte man die eigenen Könige auf die Goten zurückführen.