Petra in Jordanien | Foto: Colin Tsoi
Archäologische Beziehungserforschung
Will Kennedy über seine Arbeit in der Umgebung von Petra in Jordanien.
Ein Interview von Dagmar Deuring
Eine Stadt lebt von ihrem Umland und prägt es zugleich. Den Beziehungen, die zwischen dem antiken Petra und der Landschaft ringsum bestanden, geht der Archäologe Will Kennedy in seinem von Topoi geförderten Dissertationsprojekt nach. Aber um welche Art von Beziehungen handelt es sich dabei und wie kann die Archäologie solche Beziehungen analysieren?
Ein Gespräch über Forschungsarbeit im Gelände und am Computer, über Besuche in Beduinenzelten und über das Arbeiten in einer politisch instabilen Region.
Herr Kennedy, Thema Ihrer Arbeit ist nicht die Stadt, sondern das Hinterland von Petra in Jordanien. Was wollen Sie herausfinden?
Das nabatäisch-römische Petra, wie es etwa 400 vor bis 400 nach der Zeitenwende existierte, ist relativ gut erforscht. Mich interessiert nun, welche Rolle das Umland für die Stadt spielte. Wie wurde Petra durch das Hinterland versorgt? Wie wurde die militärische Absicherung der Stadt von dort aus organisiert? Und welche sozialen und wirtschaftlichen, politischen und administrativen Beziehungen bestanden zwischen den kleineren Orten dort untereinander sowie zwischen ihnen und der Stadt Petra? Ich versuche, ein erstes Gesamtbild dieser Region zu schaffen.
Wie groß ist das Gebiet, das Sie untersuchen?
Es gibt einen alten Papyrus, der von Beziehungen zwischen Petra und der Stadt Udruh spricht, die etwa zwanzig Kilometer von Petra entfernt ist. Damit war der Radius dessen angegeben, was in der Forschung bisher als „greater Petra“ bezeichnet wird. Ich kann durch meine Feldforschung aber zeigen, dass es schon aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten doch nur eine kleinere Region war, die mit Petra engere Beziehungen unterhielt. Nachzuweisen, wie die weiter entfernten Gebiete auf Petra bezogen waren, ist aber ebenfalls ein Teil meiner Arbeit.
Will Kennedy ist Promotionsstudent an der Berlin Graduate School of Ancient Studies im Programm “Landscape Archaeology and Architecture” und Mitglied der Topoi Forschungsgruppe (A-1) Marginal Habitats. Er studierte Klassische Archäologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. In seinem Disserationsprojekt erforscht er die Landschaftsorganisation des Hinterlandes der Nabatäerhauptstadt Petra. Foto: Privat
Was für ein Bild von dieser Landschaft bekommt jemand, der dort heute unterwegs ist, zu Fuß oder mit dem Jeep? Und wie viel von dem, was dort vor 2.000 Jahren gebaut wurde, sieht man dabei?
Es ist eine steinige, bergige, ziemlich unwirtliche Landschaft. Man kann zu Fuß tagelang unterwegs sein und kaum einem Menschen begegnen. Von den alten Strukturen sieht man mal eine Mauerkrone, mal ein bisschen Bauschutt. An den Hängen der Berge sind durch Erosionen die archäologischen Überreste teilweise völlig verschüttet. An anderen Orten liegt alles noch so, wie es vor tausend Jahren umgefallen ist. Manche archäologischen Stätten sind auch von Menschen aufgewühlt. Das ist für uns einerseits ein Nachteil, weil es gestört und vieles auch entwendet wurde, andererseits ist dadurch auch mehr sichtbar geworden. Insgesamt gibt es aber relativ wenige bauliche Strukturen in dem Gebiet, denn die Nabatäer waren ja ein halbnomadisches Volk, sie waren also immer über längere Zeiten mit Zelten unterwegs oder nutzten temporäre Bauten.
Auf welchen Beziehungen zwischen Petra und seiner Umgebung liegt der Schwerpunkt Ihrer Untersuchungen?
Zum einen geht es da um sehr praktische Themen: um die Versorgung durch die Landwirtschaft und um Bewässerungssysteme. Speziell interessieren mich aber Fragen, mit denen man tiefer in das Verständnis der antiken Nabatäergesellschaft eindringt. Petra selbst war eine Handelsstadt. Daher spielten die Handelswege eine ganz wichtige Rolle. Und die Kommunikation. Wenn eine große Karawane mit ihren Waren sich auf die Stadt zu bewegte, dann war es notwendig, dass man in der Stadt frühzeitig davon erfuhr, um sich vorzubereiten – nicht zuletzt, weil es darum ging, all die Tiere und Menschen zu versorgen. Es musste also Posten geben, die die Wege beobachteten und einander mitteilten, was sie sahen – und die auch dafür sorgten, dass die zwanzig Kamele, die jemand auf einem Streckenabschnitt entdeckte, beim nächsten Punkt wirklich ankamen. Verwandte Fragen stellen sich in militärischer Hinsicht. Um solche Kommunikationsprozesse zu organisieren, brauchte man eine Verwaltung. Als Archäologe muss ich nun zum Beispiel herausfinden, wo die Handelswege überhaupt verliefen. Und wo die Wachtposten waren.
Und wie finden Sie in dem großen Gebiet solche Handelswege und Ausblicksposten?
Wir haben bei unserer Arbeit den riesigen Vorteil, dass in der Nähe von Petra ein Beduinenstamm lebt, die al-Bdoul, aus deren traditionellem Lebensstil wir viel über den möglichen Umgang der Nabatäer mit der Landschaft lernen können. Gerade die Älteren von ihnen kennen dort jeden Berg, jede Quelle, jeden Weg und wissen, über welche Route man mit viel Gepäck am besten von A nach B kommt. Seit mehreren Generationen arbeiten sie mit archäologischen Projekten aus aller Welt zusammen und können uns mit ihrem Wissen sehr helfen. Einer von ihnen, der früher als Hirtenjunge mit Eseln und Ziegen unterwegs war, ist mein Freund geworden. Suleiman Mohammed al-Bdoul, so heißt er, scheucht mich auf die Berge und zeigt mir, von wo aus man welche Orte überblicken kann. Oder er führt mich zu archäologischen Stätten, die sonst kaum jemand entdeckt hat. Wo er selbst nicht weiter weiß, führt er mich zu anderen Gruppen von Beduinen, die er kennt oder die sein Vater kannte. Er stellt mich dann scherzhaft als seinen Sohn vor. (Will Kennedy gibt die arabische Formel wieder – seine Sprachkenntnisse bezeichnet er als Alltagsarabisch.) Dann sitzt man gemeinsam im Zelt, trinkt Tee und redet über das Leben. Das kann sehr lange gehen. So erfahre ich viele interessante Details, beispielsweise, wie man dem kargen Boden landwirtschaftlich etwas abgewinnen kann oder auch wie es geregelt wird, wenn Fremde in die Gegend kommen und die Gebiete mehrerer Stämme durchqueren.
Wie sehen die archäologischen Befunde aus – beispielsweise die Überreste eines antiken Wachturms?
Das ist interessant. Da klettern wir mühsam einen steilen Berg hoch und ich als klassischer Archäologe erwarte einen drei Meter hohen quadratischen Wachturm oder zumindest entsprechend viel Schutt – aber da oben findet man erstmal nichts. Es dauert eine ganze Weile, bis ich einige kleine Löcher im Felsboden entdecke: Darin steckten vermutlich Pfosten für ein Zelt. Auf dem steinigen Grund hier hätte man nur schwierig einen festen Turm bauen können. Aber man benötigte ihn auch gar nicht, denn von dort kann man die ganze Umgebung überblicken – übrigens ohne von unten gesehen zu werden. Die Wächter brauchten also nur einen Unterschlupf. Um dieses Loch zu verstehen, ist tatsächlich eine Verbindung notwendig zwischen dem Wissen meines beduinischen Freundes und meiner Lektüre von Diodor, der im 1. Jahrhundert v. Chr. über die Nabatäer geschrieben und die Wachtposten erwähnt hat.
Wie haben Sie Ihren Freund kennengelernt?
Das war während einer Forschungsreise 2009 mit Stephan Schmid, der meine Dissertation betreut. Für mein Projekt wurde mir Suleiman Mohammed al-Bdoul als Guide empfohlen. Später hat er mir erzählt, er habe erst mal ein paar Tage geschaut, wie ich so arbeite. „Hättest du Blödsinn gemacht“, meinte er, „dann hätte ich dir meinen Bruder geschickt. Aber es sah ganz gut aus, daher bin ich bei dir geblieben.“ Er hat ein echtes Interesse an der archäologischen Forschung, denn er sieht es als Erkundung der Lebensweise seiner Vorfahren.
Sind Sie auch miteinander in Kontakt, wenn Sie hier in Berlin sind?
Ja, über Facebook. Privat und beruflich, denn ich nutze seinen Rat auch, wenn ich die nächste Forschungsreise vorbereite. Wie viele andere Mitarbeiter vor Ort wird er dafür übrigens auch bezahlt. Die Archäologie ist ein eigener Wirtschaftszweig in Jordanien und er ist ein echter Profi.
Wie erstellen Sie das Gesamtbild, von dem Sie gesprochen haben? Und wie verhält sich dabei Ihre Arbeit hier in Berlin am Schreibtisch zu der archäologischen Forschung vor Ort?
Es ist ein Hin und Her. Ganz konkret verwendet man vor Ort an den einzelnen Fundstellen Formulare, auf denen grundlegende Informationen handschriftlich eingetragen werden. Dazu notiert man auch schon Interpretationsvorschläge und ergänzt das Ganze mit Fotos. Wenn ich Glück habe, finde ich Keramikscherben. Mit ihren unterschiedlichen Rändern und Mustern erlauben die eine zeitliche Einordnung.
Hier in Berlin trage ich dann in einer Datenbank die Ergebnisse dieser sogenannten Surveys zusammen: meine eigenen, aber auch die von früheren Forschern, die über die Region veröffentlicht haben. Dafür verwende ich feste Kategorien – zum Beispiel Bauernhof, Zisterne, Villa/Haus –, um diese Informationen später zu kartieren. Dieser Arbeitsgang umfasst auch die Vereinheitlichung der Kategorien: Was genau meinte jemand, wenn er „Bauernhof“ oder „Karawanserei“ schrieb? Außerdem geht es darum, die Datierungen zu synchronisieren. Ergänzend arbeite ich auch mit GIS-basierten Methoden, also einem satellitengestützten Geoinformationssystem, mit dem wir Informationen über die räumlichen Verhältnisse der Stätte erfassen können. Um dann die Daten mit Inhalt zu füllen, schaue ich mir die relevante Literatur an, auch die ältere Forschung, stelle Hypothesen auf, vergleiche die Region auch mit anderen, naturräumlich ähnlichen Gebieten, in denen etwa um dieselbe Zeit nomadisch organisierte Gesellschaften lebten, und dem, was die Forscher dort als Interpretation zu verwandten Fragestellungen entwickelt haben.
Wenn Sie von älterer Forschung sprechen, welche meinen Sie dann? Seit wann wird dort überhaupt geforscht?
Lange Zeit war die Region für Fremde nicht zugänglich, weil es dort einen Berg gibt, der den Muslimen heilig ist, den Dschabal Hārūn. Der erste Europäer, der seit den Kreuzzügen nach Petra kam, war der Schweizer Johann Ludwig Burckhardt. 1812 hat er die in den antiken Schriften erwähnte Stadt wiederentdeckt, indem er sich als muslimischer Kaufmann namens Scheich Ibrahim ausgab. Auf seinen Spuren kamen seitdem immer wieder westliche Reisende in die Gegend. Sie reisten noch so, wie man sich zur Zeit der Nabatäer bewegte, mit Eseln und Kamelen und über die Wege, die schon damals Petra mit dem mediterranen Raum verbanden. Ihre Briefe und Berichte sind für mich wichtige Literatur, oft finde ich dort auch zwischen den Zeilen entscheidende Informationen, beispielsweise über Wege und Gebietsgrenzen oder über Rast- und auch Fundstätten. Wie lange braucht man von einer Wasserquelle bis zur nächsten?
Jetzt haben wir viel über die Beobachtung von Wegen und die Organisation von Bewegung gesprochen. Welche Art von Beziehungen zwischen der Stadt und dem Umland erforschen Sie in Ihrer Arbeit außerdem?
In der Nähe von Petra liegt eine kleine Stadt, Sabra, die in antiker Zeit unter anderem ein Theater hatte, also kulturell ziemlich avanciert war. Die Frage lautet: War Sabra von Petra aus verwaltet oder haben wir es da mit einer eigenständigen Urbanität mit eigenen administrativen Strukturen zu tun? Wie standen also die kleinen Städte zueinander? Gab es überall einen Stadtscheich, der an Petra Tribut zahlen musste, oder waren die Städte jeweils autonom? Um das zu verstehen, gibt es verschiedene Ansätze: zum einen die Idee, von gesellschaftlichen oder kulturellen Strukturen in Petra auf das Umland zu schließen. Dafür schaue ich zum Beispiel auf das, was man an den Grabarchitekturen in Petra selbst über die in sich abgeschlossenen Familienclans ablesen kann. Andere Indizien erhalte ich, indem ich die räumlichen Beziehungen zwischen Villen/Häusern, Bauernhöfen, Zisternen und Feldern im Umland visualisiere. So bekomme ich ein Bild von Versorgungsbeziehungen, aber auch von Beziehungen zwischen den Besitzern der einzelnen Villen, bei denen es sich möglicherweise um Clans handelte. Meine Vermutung ist bisher, dass die antiken Strukturen tribal organisiert waren – ganz ähnlich wie die der heutigen nomadischen Stammesgesellschaften.
Sie forschen in einer politisch instabilen Region. Wirkt sich das auch auf Ihre Arbeit aus?
Im Februar 2015 war kurz vor meinem Abflug das Video veröffentlicht worden, das zeigte, wie ein jordanischer Kampfpilot von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staats vor laufender Kamera bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Da stand kurzzeitig auf der Kippe, ob ich überhaupt losfliege. Das war das Direkteste, was ich persönlich mitbekommen habe. Von Kollegen in Nordjordanien weiß ich, dass sie auch schon Projekte absagen mussten. Das Thema IS ist zwar allgegenwärtig, die akute Bedrohung ist aber von Petra aus vergleichsweise weit weg. Ich habe es nie als Risiko gesehen, dort zu arbeiten, weil ich die Leute vor Ort kenne. In den Gesprächen dort war der IS ständig Thema. Es gibt überhaupt gar keine Sympathien dafür, die Leute sprechen voller Verachtung von diesen Mördern und Verbrechern. Manchmal machen sie auch Witze darüber, vielleicht als eine Art Selbstschutz. Man kann einfach nur für die Jordanier hoffen, dass die Kämpfe nicht auf das Land übergreifen. Unsere Arbeit hat da keine Priorität. Natürlich muss ich wachsam sein und die politische Situation verfolgen. Aber ich finde es auch sehr wichtig, ein Signal zu setzen, dass man dort sein und seine Arbeit machen kann. Wir wurden stets mit Offenheit, Toleranz und Interesse willkommen geheißen.
Dieser Artikel ist im Topoi Magazin RAUMWISSEN, Ausgabe 17 erschienen.
→ Raumwissen Ausgabe 17 online lesen [PDF | 1.8 MB]
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