Im Zeichen des Kreises
Ein neues Topoi-Projekt erforscht mit computerbasierten Simulationsmodellen die Ausbreitung der ”Kreisgraben-Idee“
Sie gehören zu Europas ältesten Monumentalbauten: sogenannte Kreisgrabenanlagen der mittleren Jungsteinzeit. Trotz intensiver Untersuchungen in den letzten Jahrzehnten geben die riesigen Bauwerke nach wie vor viele Rätsel auf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des interdisziplinären Topoi-Projekts “The Kreisgraben-phenomenon” nehmen nun mit Hilfe neuer computergestützter Analyseverfahren das architektonische Konzept der Anlagen und die Ausbreitung der Kreisgraben-Idee unter die Lupe.
Ganz plötzlich und in relativ kurzer Zeit hat sich im frühen 5. Jahrtausend v. Chr. die Idee der Kreisgrabenanlage über verschiedene Kulturgruppen hinweg in Mitteleuropa ausgebreitet. Ihre Entdeckung verdanken sie vor allem modernen Prospektionsmethoden wie Luftbildarchäologie und Geomagnetik. Denn oberirdisch ist von den mehr oder weniger kreisrunden Bauten nichts erhalten.
Mittlerweile kennt man Lage und Größe von etwa 200 Anlagen in einem Verbreitungsgebiet von Westungarn bis nach Mitteldeutschland. Zu den wesentlichen architektonischen Merkmalen gehören konzentrische Spitzgräben von bis zu 4 m Tiefe und variierender Anzahl. Erdbrücken führen auf einen leeren, von den Gräben umschlossenen Platz. Dieser war in der Regel durch ein oder zwei hölzerne, durch Tore unterbrochene Palisadenringe begrenzt. Obwohl moderne archäologische Untersuchungen diese interessanten baulichen Details hervorbrachten, wird die mögliche Funktion dieser rätselhaften Monumente in der archäologischen Forschung kontrovers diskutiert. Die Bandbreite der Interpretationen ist entsprechend groß: Waren sie Kalendergebäude, Fliehburgen oder Kultplätze im Sinne astronomischer Beobachtungsstätten? Derzeit überwiegen Erklärungsansätze, die sie als multifunktionale Konstruktionen sehen, die vorwiegend kultisch-religiösen Zwecken sowie gesellschaftspolitischen Aufgaben dienten.
Archäologie trifft auf Physik
Im Rahmen des von der DFG geförderten Projektes ”Gebautes Wissen“ untersuchte die promovierte Archäologin Christina Michel insgesamt 29 Kreisgrabenanlagen in Deutschland auf mögliche astronomische Ausrichtungen und topographisch bedeutsame Merkmale. Mit Hilfe GIS-basierter Analysen und astronomischer Rechenmodelle konnte sie die Anlagen in Bezug auf die Umgebung und die architektonische Konzeption neu interpretieren. Das Ergebniss ihrer Untersuchungen: Entgegen der verbreiteten Annahmen orientieren sich die bewusst angelegten Lücken nicht zwingend an astronomischen Phänomenen am Himmel — wie an den Himmelsrichtungen der Sonne bei Sonnenwenden oder Tag- und Nachtgleiche. Auch markante Punkte in der Umgebung wie Berge oder Erhebungen scheinen bei der Ausrichtung der Tore eine wichtige Rolle gespielt zu haben.
Für die Computersimulationen und Berechnungen entwickelte die Archäologin gemeinsam mit dem Topoi-Wissenschaftler und Physiker Gordon Fischer eine auf der Programmiersprache Python basierte Routine. Das computergestützte Simulationsmodell wird nun im Rahmen eines neuen Topoi-Projekts unter der Leitung von Wolfram Schier und Gerd Graßhoff auf weitere Kreisgrabenanlagen in einem größeren Verbreitungsgebiet angewendet. Das interdisziplinäre Forschungsteam kann so prüfen, ob sich vergleichbare topographische und zugleich astronomische Orientierungen der Tore auch in anderen Regionen verifizieren lassen.
Die Ausbreitung der Kreisgraben-Idee – ein Wissenswettbewerb?
Auch wenn man sich über deren Funktion noch nicht schlüssig ist, so sind sich Experten einig, dass es sich bei den Kreisgrabenanlagen um besondere und bedeutende Bauwerke gehandelt haben muss. Die Errichtung dieser aufwändigen Monumente war mit einem erheblichen Maß an Arbeit und Planung, vor allem aber mit komplexem geodätisch-geometrischen und auch astronomischem Wissen verbunden.
Umfangreiche Kartierungen zeigen, dass in der Jungsteinzeit diese einmal entwickelte Idee der Kreisgrabenanlage nicht einfach nur kopiert wurde. In enger räumlicher und zeitlicher Nachbarschaft treten nicht etwa identische oder ähnliche Ausführungen eines baulichen Grundkonzepts auf, wie z.B. die Ausprägung der Gräben, die Torgestaltungen oder auch die äußeren Strukturen. Vielmehr sind es signifikant unterschiedliche Bauten, die dabei keineswegs regionalen Mustern folgen, wie es in der Archäologie für gewöhnlich zu beobachten ist. Die Gründe für diese absichtsvollen Variationen sind unklar. Vermutet wird, dass nicht alle, sondern nur einzelne Mitglieder der jungsteinzeitlichen Gesellschaft über das erforderliche komplexe Wissen zum Bau einer Kreisgrabenanlage verfügten und dieses einsetzten, um zu beeindrucken und Prestige zu erlangen. Das Forschungsteam des Topoi-Projektes will nun in einem weiteren Schritt der Frage nachgehen, wie dieses Wissen ausgetauscht und weitergegeben wurde, um mögliche kulturelle Interaktionen und Kommunikationsnetzwerke darzustellen.
Autorin: Tanja Kuppel
In der aktuellen Überbrückungsphase des Exzellenzclusters Topoi werden ausgewählte Themen
aufgegriffen, die aus den beiden Topoi-Förderphasen von 2007 bis 2017 hervorgegangen sind
und neue Perspektiven und Potenziale für weitere Forschungen eröffnen. Teilaspekte dieser Themen
werden nun auf Grundlage der bisherigen Forschungsarbeiten in Kurzprojekten von November
2017 bis Dezember 2018 vertieft. Eines dieser Kurzprojekte ist das Topoi-Forschungsprojekt “The ‘Kreisgraben-phenomenon’ – Spatio-temporal differentiation of a cosmological concept in the early 5th millennium BC“.
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