Workshop der Topoi Forschungsgruppe “Aitiologie der Kultur“ am 29./30. November 2018

 

Workshop Poster Aitiologie

Anfänge sind ein Thema, das die im Rückwärtsgang sich bewegenden Altertumswissenschaften ganz grundsätzlich betrifft, verführt doch die Aufgabe, ferne Vergangenheiten zu erforschen, immer wieder zu der Frage, wann ein Phänomen zum ersten Mal aufgetaucht ist, wie alt es tatsächlich ist und ob es möglicherweise auch vor seinem nachweisbar historischen Erscheinen bereits existiert hat. Das besondere an der Erzählform der Aitiologie ist, dass dieses Konzept das Bewusstsein einschließt, dass ein solcher Anfang auch nachträglich erfunden sein kann, um einer Sache – einem Kult, einem Stein, einem Namen oder einer Institution – eine Geschichte und damit auch eine Erklärung und Plausibilität zukommen zu lassen. Anfänge gewinnen so trotz ihrer häufig poetischen Verfasstheit eine rationalisierende Kraft. Wie das transformationstheoretischen Konzept der Allelopoiese sucht die Aitiologie nach Spuren, die sie allererst herstellt (Georg Toepfer).

Der Workshop der Topoi Forschungsgruppe “Aitiologie der Kultur”, der Ende November unter dem Titel “Anfangsgründe: Aitiologisches Erzählen in Mythos, Literatur und Wissenschaft” von Susanne Gödde und Sebastian Zerhoch organisiert wurde, hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht allein das aus der Mythenforschung bekannte Narrativ zu untersuchen, sondern darüber hinaus der Aitiologie als Denkform auch in anderen, zumal wissenschaftshistorischen, Kontexten nachzugehen. So kamen neben dem Ursprung der Welt schlechthin – in der Figur von Hesiods Chaos (Glenn Most) – und kulturellen Errungenschaften wie der Flötenmusik bei Pindar (Thomas Poiss) und kultischen Festen bei Ovid (Christian Badura) auch wissenschaftliche Disziplinen zur Sprache, die für ihre Gegenstände Anfänge konstruieren, etwa die Indologie (Bernd Roling), die Editionsphilologie (Antje Wessels), die Biologie (Georg Toepfer) oder die Psychoanalyse (Susanne Lüdemann). Dass mit Gründen und Begründungen auch Souveränitätsansprüche einhergehen können, dass die Aitiologie gegen das Unfassbare anarbeitet (Antje Wessels), aber auch dass Vergangenheit relativiert wird (Christian Badura), gehörte ebenso zu den anschlussfähigen Einsichten des Workshops wie die Frage, in welchem Maße wissenschaftliche Erklärungsmodelle auch Raum für Kontingenz lassen (Georg Toepfer), eine Frage, deren Relevanz sich nicht zuletzt in der Gegenüberstellung von Naturgeschichte und politischer Geschichte zeigte. Ausführungen zu Freuds Psychoanalyse schließlich zeigten, wie psychische in symbolische Kausalitäten umschlagen oder Ursprünge auch verfehlt werden können (Susanne Lüdemann).  Das Thema bot vielfachen Anlass, auch über die Prämissen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit nachzudenken: über das Verhältnis von Fragen und Antworten oder die Priorisierung von Antworten gegenüber Fragen (Guido Nerger).

Mit diesem Workshop hat die Arbeitsgruppe sich nicht nur selbst einen neuen Anfang gegeben, sondern gleich auch ein umfangreiches Forschungsprogramm.

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